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WEIHNACHTSZEITUNG

2.Ausgabe 1988
M.Krüger

Der Kommentar:
Von Manfred Krüger 1988

Unsterblich ?! Nein, Danke!

Sterben, werden wir es können, wenn die Zeit gekommen ist? Manchmal fürchte ich, ich werde es nicht können. Ist das verwunderlich? Nein, denn wir haben den Tod aus unserem Leben verdrängt. Eine Medien-überflutete Welt will uns glauben machen, wir seien unsterblich! Aber die Demokratie des Todes wird auch vor uns nicht haltmachen. Und das ist gut so. Nehmen wir einmal an, wir könnten ewig leben! Hätte es dann überhaupt einen Sinn morgens aufzustehen? Wäre man nicht versucht aus Angst vor Krankheiten und Unfällen (s)eine Ewigkeit im Bett zu verbringen? Alles könnte man auf morgen verschieben. Würden nicht alle Dinge, die uns erfreuen und glücklich machen, durch ein immerwährende Wiederholbarkeit, langweilig? Wäre ein Leben, das nur der Freitod beenden könnte, überhaupt lebenswert? Dies alles ging mir durch den Kopf, als ich im November einen Freund im Krankenhaus besuchte. Leukämie. Er starb einige Tage später; im Alter von 37 Jahren. Mit welcher Grausamkeit auch immer sich Krankheiten in unser Leben drängen, nur die Sterblichkeit bewahrt uns vor ewigen Schmerzen, die Hinterbliebenen vor endlosem Wahnsinn. Aber, werde ich sterben können? Vielleicht wird es schwer sein. Ein Arzt wird mir helfen zu sterben. Und wenn ich nicht gar zu große Schmerzen habe, werde ich verlegen und bescheiden lächeln: "Bitte entschuldigen Sie…es ist das erste Mal…!"

Für die Anregung beim Kommentar bedanke ich mich bei Kurt Tucholsky ©88:mk

Die Weihnachtsgeschichte
Von Manfred Krüger 1988

An einem Weihnachtsabend gehen in Deutschland minutenlang die Lichter aus. Zufällig und ungewollt Millionen Plastiktannenbäume, in Disco-Manier geschmückt, hören auf zu leuchten. Fernseher verbreiten, indem sie einen weißen Punkt auf der Mattscheibe zurücklassen, eine beängstigende Stille. In unzähligen ferngesteuerten Hi-Fi-Anlagen verstummen digital die Weihnachtslieder. Verloren sitzen die Kinder da, mit ihren Dart-Vader-Robotern, den elektronisch gesteuerten Mattel-Puppen und ihren Computer-Spielen. In den Küchen klagen Hausfrauen über den Verlust ihrer Mikrowellen-Herde, in denen ein in Stanniol verpacktes Weihnachtsmenü, auf den letzten Bräunungsgang wartet…

Nur eine Familie merkt nichts von alledem. Sie sitzt um einen Tannenbaum, an dem die Kerzen knistern und flackern. Aus der Ofenröhre zieht der Duft von Bratäpfeln durchs Zimmer und vermischt sich mit dem Geruch abgebrannter Wunderkerzen. "Sechs..", werden die Kinder rufen und: "..Vati fliegt raus"; und derweil sie sich weiter mit dem Mensch-ärgere-dich-nicht beschäftigen, hört man Großmutter, den bunten Teller auf dem Schoß, Nüsse aufbrechen. Und als sie dann gemeinsam "Stille Nacht, heilige Nacht" singen, leise und auch ein bißchen falsch, bemerken sie den Mann nicht, der mit seinem weißen Bart und dem roten Mantel draußen steht und durch die Eisblumen am Fenster hineinsieht. Und sie hören auch nicht wie er im weggehen zufrieden durch seinen weißen Bart streicht und ihnen leise zuruft: "Fröhliche Weihnachten!"